Ich habe lange darüber nachgedacht, was man unternehmen könnte, um den sexuellen Kindesmissbrauch einzudämmen. Im Laufe der Jahre fiel mir auf, dass gerade im direkten Umfeld der Opfer vertrauenswürdige Personen fehlen, die dem Opfer glauben und zur Seite stehen oder zumindest die richtigen Stellen über einen Missbrauch unterrichten.
So kam ich auf die „Insel-Methode“. Ich fahre viel herum und halte Vorträge z. B. in Schulen und vor Landfrauenvereinen. Dort kläre ich die Anwesenden über den sexuellen Kindesmissbrauch und dessen Folgen auf. Anschließend frage ich, ob jemand der anwesenden Frauen bereit ist, eine „Insel“ zu sein. Diese Frau muss nicht speziell geschult sein. Sie muss sich nur öffentlich gegen den sexuellen Kindesmissbrauch aussprechen und alle Menschen auffordern, ihr Nachricht zu geben, wenn etwas in dieser Richtung passiert oder passiert ist.
Die „Insel“ muss weiter nichts tun, als die erhaltenen Informationen an die richtigen Stellen – Polizei, Jugendamt, Hilfsorganisation – weiterzuleiten, sollte das Opfer das wünschen. Sie muss nicht therapeutisch tätig werden oder sonstige Hilfestellungen leisten.
Auf diese Weise konnten bereits einige pädokriminelle Straftaten aufgeklärt werden. Ich habe festgestellt, dass eine „Insel“ im Dorf, im Stadtteil, im Verein durch ihre bloße Anwesenheit Schwellentäter von einem Übergriff abhalten kann, da die Entdeckungsgefahr spürbar größer ist, als in Bereichen ohne „Insel“.
Aber warum eigentlich die „Inselmethode“? Es gibt doch schon eine Menge Organisationen, die sich mit dieser Thematik seit Jahren beschäftigen und gute Hilfe leisten.
Ich will diesen Organisationen keine Konkurrenz machen, sondern mit ihnen zusammenarbeiten. Ein fünfjähriges Mädchen, das in einem Dorf mit 300 Einwohnern lebt, wird niemals in einen Bus steigen, in der nächsten Stadt in die Eisenbahn wechseln, sich in der großen Stadt zum nächsten Büro einer Hilfsorganisation durchfragen und einer wildfremden Frau ihre Geschichte erzählen. Ein Opfer braucht vor Ort Hilfe, braucht vor Ort jemanden, der ihm glaubt, ihm zuhört und Sicherheit ausstrahlt. Hilfe im nahen Umfeld des Opfers ist wichtig.
Seien auch Sie eine „Insel“. Man benötigt keine umfangreiche oder kostspielige Ausbildung dafür. Etwas Mut, ein waches Auge und ein offenes Ohr genügen vollkommen. Helfen Sie den Opfern. Es kostet Sie keinen Cent. Helfen Sie mit, die Zahl der Opfer drastisch zu reduzieren.
Im Laufe der letzten Jahrzehnte wurde mir bewusst, dass nicht nur sexuell missbrauchte Kinder, sondern auch Frauen und Homo- und Transsexuelle Hilfe benötigen. Frauen werden nach wie vor in unserer Gesellschaft benachteiligt, erhalten im Schnitt 30% weniger Lohn für die gleiche Tätigkeit, wie Männer, und sind in Führungspositionen selten zu finden. Durch eine Umfrage des Familienministeriums kam zutage, dass 37% aller Frauen häuslicher Gewalt ausgesetzt sind. Homo- und Transsexuelle werden nach wie vor ausgegrenzt, verspottet, gemobbt und sogar hin und wieder körperlich attackiert. Auch diese Menschen brauchen eine Anlaufstation, in der sie ernst genommen werden, in der sie Hilfe erwarten können.
„Wenn ich bemerken sollte, dass meine Enkelin sexuellen Übergriffen ausgesetzt ist, werde ich nicht erst vorher Psychologie studieren, sondern ihr gleich zur Seite springen“, erklärte mir eine Frau nach einem Vortrag. Sie hat absolut Recht. Jeder kann etwas tun – und zwar jetzt! Wegschauen nützt nur dem Täter.
Weitere Informationen bei www.transborderles.de oder geben Sie den Begriff „van Herste“ in Ihre Internet-Suchmaschine ein.