Wenn ich es nicht ganz genau wüsste, dann würde ich sagen, so etwas kann es auf unserer Welt nicht geben. Leider gibt es das doch und zwar sogar ziemlich häufig. Im Laufe der Jahre fiel mir auf, dass etwa jedes dritte Mädchen und jeder fünfte Junge Opfer sexualisierter Gewalt werden.

Etwa 97% der sexuell missbrauchten Kinder werden im häuslichen Umfeld, also in der eigenen Familie und/oder dem Freundes- und Verwandtenkreis zum Opfer gemacht.

Die meisten Opfer schweigen nicht. Leider muss ein Opfer im Durchschnitt sieben Personen von den Übergriffen unterrichten, ehe ihm geglaubt wird. Dabei bleiben natürlich die meisten auf der Strecke. „Wenn Mutter, Oma und Tante mir nicht glauben wollen, dann glaubt mir sowieso keiner.“

Es kommt sogar sehr oft vor – es wird von 85% ausgegangen –, dass die Mutter oder auch andere Verwandte Bescheid wissen oder sogar mitmachen und aus Angst vor Ehr-, Status- oder Bequemlichkeitsverlust schweigen und dem Opfer noch obendrein drohen. „Das was du da sagst, ist sowieso gelogen und wenn du Fremden etwas darüber erzählst, muss der liebe Vati ins Gefängnis und du kommst ins Heim.“

Ab und zu kommt es sogar zur regelrechten Vermarktung der Kinder. Die Opfer müssen dann nicht nur den eigenen Eltern oder Verwandten zu Willen sein, sondern werden auch an fremde Personen vermietet. Kinderpornographie ist ein weltweites Milliardengeschäft und es gibt Kinderschänderbanden, die dem interessierten Insider alles liefern, vom Nacktfoto bis zum fertigen Gewaltvideo.

Viele Opfer werden schon im Babyalter sexuell missbraucht. Da ihnen keine andere Art der Aufmerksamkeit zuteil wurde, verwechseln sie diese brutalen Übergriffe mit Zuneigung oder Liebe. Eines Tages sind sie dann – wie es im Fachjargon heißt – „hormonverseucht“, kommen also in die Pubertät und sind damit für die meisten Täter nicht mehr interessant. Jetzt wird das Kind plötzlich nicht mehr beachtet und es fängt an, sich und seinen Körper zu hassen.

Sind die Übergriffe so drastisch, dass das Kind sie nicht verarbeiten kann, kann es zur Verdrängung der Erlebnisse kommen. Ist das Opfer erwachsen, hat die Schule beendet, einen Beruf erlernt und eine Familie gegründet, treten diese Erinnerungen in den Hintergrund. Viele Jahre später, wenn die Kinder aus dem Haus sind, stellen sich plötzlich Albträume oder Panikattacken ein. Plötzlich schieben sich schlimme Bilder vor das innere Auge und die Lebensqualität kann dadurch drastisch eingeschränkt werden. Wird das Verdrängte nicht erinnert, kann das Leben des Opfers zum zweiten Mal zur Qual werden.

Ich habe festgestellt, dass ohne die Erinnerung an die Taten, also die Aufarbeitung der schlimmen Geschehnisse, keine wirkliche Besserung auf Dauer möglich ist. Die Opfer, die so viel wie möglich erinnern, eventuell noch weitere Opfer oder Zeugen finden und zum Schluss sogar die Täter damit konfrontieren, haben die besten Chancen, alles wirklich hinter sich zu lassen und zumindest den Rest ihres Lebens glücklich zu leben. „Früher war ich meinem Onkel hilflos ausgeliefert, heute bin ich erwachsen und er kann mir nichts mehr tun.“

Leider sperren sich viele Mit-Opfer, Zeugen und Täter. Selbst wenn die Verjährung schon lange eine Strafverfolgung verhindert, streiten sie jedwede Beteiligung vehement ab. Dabei würde eine ehrliche Aussage das Opfer extrem entlasten. Es könnte dann sicher sein, dass die erinnerten Geschehnisse wirklich passiert und nicht die Ausgeburt eines kranken Gehirnes sind.

Sexueller Kindesmissbrauch kommt in allen Bevölkerungsschichten vor. Leider sind einige Strafverfolgungsbehörden aus finanziellen und/oder personellen Gründen nicht in der Lage, diesem Treiben einen Riegel vorzuschieben. Computer-Festplatten z. B. müssen unkontrolliert an mutmaßliche Täter zurückgegeben werden, da eine Auswertung in annehmbarer Zeit nicht möglich ist. Außerdem werden Übergriffe auf Kinder nach wie vor bagatellisiert. Im Durchschnitt wird nur jeder 1000. Täter überhaupt angeklagt – das heißt noch nicht, dass er verurteilt wird. Obendrein wird selten das gesetzlich vorhandene Strafmaß ausgenutzt. Opfer müssen mit ansehen, wie ihre Täter zu einer lächerlichen Bewährungsstrafe verurteilt oder gar freigesprochen werden. Während die Opfer ihr Leben lang leiden und als Nestbeschmutzer, Wichtigtuer oder Ehrverletzer ausgegrenzt werden, werden die Täter von der Bevölkerung sehr oft mit offenen Armen empfangen. Während ihre Taten gern entschuldigt werden, muss ein Opfer viele Jahre um seine Glaubwürdigkeit kämpfen. Im Laufe der Jahre musste ich viele solcher Beispiele zur Kenntnis nehmen.

Auch Trainern von Sportvereinen, Priestern, Pastoren, Diakonen, Erziehern oder Lehrern wird sexueller Kindesmissbrauch nicht zugetraut. Er findet trotzdem statt – und das, wie die jüngsten Erkenntnisse zeigen – in ungeahnten Ausmaßen. Aber weder Kirchen, noch Vereine oder Schulen sind ernsthaft daran interessiert, diese Machenschaften aufzudecken und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Es wird vertuscht, gelogen und verleumdet, ohne Rücksicht auf Verluste, um Dinge im Dunkeln zu belassen, die sowieso inzwischen bekannt sind.

Ich selbst wurde Opfer einer solchen Verleumdungskampagne. Ein Kirchenmitarbeiter und seine Mitstreiterinnen zettelten eine groß angelegte Kampagne gegen mich an, um mich unglaubwürdig und mundtot zu machen. Vorgeblich sollte die Bevölkerung vor mir und meinen Machenschaften geschützt werden. In Wahrheit hatte dieser Mann nur Angst, ich könnte ihm zu nahe kommen. Im Laufe dieser groß angelegten Aktion kam ich dahinter, wie viele Menschen Täterschutz betreiben.

Liebe Opfer!

Traut euren Erinnerungen. In ihnen steckt mehr erlebte Realität, als ihr für möglich haltet oder glauben wollt. Steht auf und redet darüber. Euer Schweigen nützt nur dem Täter. Lasst euch nicht verunsichern. Menschen, die euch drohen, haben etwas zu verbergen. Lasst euch nichts ein- oder ausreden. Nur wer Ross und Reiter nennt, hat die Chance, etwas zu verändern, die Chance auf ein glückliches Leben. Wollen wir wirklich zulassen, dass ein Täter für zehn Minuten „Spaß“ ganze Leben zerstört?

Ich selbst habe schlimme Dinge erlebt und von noch schlimmeren gehört. Auch ich dachte früher, Grausamkeiten dieser Art gibt es gar nicht. Ich musste mich eines Besseren belehren lassen.

„Wenn ich bemerken sollte, dass meine Enkelin sexuellen Übergriffen ausgesetzt ist, werde ich nicht erst vorher Psychologie studieren, sondern ihr gleich zur Seite springen“, erklärte mir eine Frau nach einem Vortrag. Sie hat absolut Recht. Jeder kann etwas tun – und zwar jetzt!

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